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Zu Besuch bei den neuen Nachbarn, den Suhrkamps

28. Januar 2010

Bei uns sind neue Nachbarn eingezogen. Die Suhrkamps. Von uns aus in der Schönhauser Allee, direkt hinter der legendären Currywurstbude Konopke, wo vor unseren Fenstern im zweiten Stock die U2 wie ein stählerner Drache aus der Erde herausschießt, sich über die große Kreuzung an der Eberswalder Straße erhebt und in Richtung Pankow verschwindet, sind es etwa dreihundert Meter, vorbei am Kaffeehaus Manolo an der Ecke Danziger Straße, das eigentlich auch nur eine Erweiterung unseres Büros ist, bis zum neuen Domizil der Suhrkamps in der Pappelallee.  Das ist unser Kiez, und deshalb wollten wir sie als Verlagskollegen willkommen heißen und ihnen gleich erzählen, warume es uns hier so gut gefällt.

Im Bermudadreieck zwischen Kastanienallee, Lychener Straße und Pappelallee kann man tagelang verschwinden. Ist mir auch schon passiert. Danach ist man jedes Mal für eine Weile geläutert. Ich nenne es auch gerne den Montmartre des 21. Jahrhunderts. Während meiner Pariser Jahre habe ich eine Vorstellung davon bekommen, wie es früher am Montmarte gewesen sein muss, zur Zeit von Toulouse Lautrec oder später, etwa als Baise Cendrars 1934 an Henry Millers Tür klopfte, um ihm zu seinem gerade erschienenen Tropic of Cancer zu gratulieren, worauf die beiden, völlig pleite, ihre lebenslange Freundschaft mit einer mythischen Sauftour initiierten.  Das Berliner Pendant zu diesem Milieu und dieser Atmosphäre beschreibt unser Autor Alem Grabovac in seinem Roman Der 53. Brief. Man könnte ein schönes Ratespiel daraus machen, welche Bar das darin beschriebene Helsinki denn in Wirklichkeit ist. In fünfzig oder hundert Jahren werden hier jedenfalls ebenso Touristenbusse durchfahren und geübte Stadtführer werden die Besucher mit ihren Aufzählungen beeindrucken, welcher Autor, Theater- oder Filmemacher, Maler oder Galerist, Denker oder vielleicht sogar Verleger wo stand oder saß und welchen Stuss er am liebsten erzählte. Denn Männer die trinken wiederholen sich gerne. Im Unterschied zum Montmartre spielen die Frauen hier allerdings nicht nur ihre Rolle als Musen, obwohl es davon immer noch so viele gibt wie polierte Muscheln am Strand. Judith Hermann etwa bediente hier hinter der Bar, bevor sie berühmt wurde, Heike Makatsch lässt sich im Prater treiben und mischt sich zu später Stunde gerne unter’s Tresenvolk, und jetzt ist auch  Ulla Unseld-Berkéwicz hier angekommen, zusammen mit dem berühmtesten deutschen Verlag. Mal sehen, ob sie sich hier entspannen kann, denn in Frankfurt hat sie von Presse, Partnern und Autoren jahrelang Prügel bezogen. Keine Ahnung, ob das gerechtfertigt war oder nicht. Aber wer hier ankommt, der darf auch neu anfangen. Das haben viele von uns gemacht. Auch ich habe 1993  als politischer Flüchtling aus Bayern in der taz einen Asylantrag gestellt statt eine Wohnungsanzeige zu schalten. So landete ich in der Dimitroffstraße, wie die Danziger damals noch hieß, und wohnte als Untermieter beim ehemaligen kubanischen Kulturattachée in der DDR Evelio Perez-Perdomo, der sich als Bauarbeiter und Krankenpfleger durchschlug. Das ist eine weitere Parallele zum Montmartre, wo sich alle politischen und künstlerischen Exilanten Europas und Russlands versammelten, um die sagenhafte Freiheit während Frankreichs Dritter Republik für ihre Arbeit und ein ungehindertes Leben zu nutzen.

Die Ankunft der Suhrkamps im Prenzlauer Berg sollte für den Verlag jedenfalls ein voller Erfolg werden. Tout le monde war gekommen, der Andrang der etwa 500 Gäste war riesig und alle haben sich aufgekrückt, wie der echte Ostberliner sagen würde, der feine Pariser dagegen hätte sie eher endimanché genannt, was etwa eingesonntagt heißt – einigen wir uns auf herausgeputzt. Das ist durchaus bemerkenswert, denn das Verlags- und Autorenvolk kommt kleidungsmäßig gerne eher schluffig daher. Doch selbst Martin Walser, der den Verlag längst verlassen hat, oder etwa Uwe Tellkamp standen sauber und unauffällig gekleidet, ohne Kopfbedeckung und mit gefalteten Händen da, als die Messe gelesen wurde, ganz so wie brave Katholiken am Sonntagmorgen in ihrer Dorfkirche. Das ganze scheint auch die sonst-so-böse-böse Presse beeindruckt zu haben, denn  tags darauf gab es in den  vielen Artikel darüber, etwa in der Frankfurter Rundschau, der taz, dem Tagesspiegel, in DIE WELT, der FAZ und der NZZ, zum ersten Mal seit langer Zeit keine schiefen Töne.

Natürlich gingen Harald Steinhausen (Geschäftsleiter), Christine Noll (PR) und ich dort nicht mit leeren Händen hin. Harald hatte die Einladung noch am Vortag mit der Chefsekretärin klar gemacht, denn wir haben jetzt schon eine ganze Reihe von Themen, die wir mit Suhrkamp demnächst besprechen möchten. Es klingt vielleicht unbescheiden und ist es sicher auch [Bescheidenheit ist eine furchtbar überschätzte Tugend, ja, nicht einmal eine Tugend, sondern eher ein verkapptes Laster, ursprünglich eine Art moralischer Falschspielerei der protestantischen Pfeffersäcke, die beim Geldscheffeln lieber unbeobachtet sein wollen. Und ist es nicht die reine Täuschung und Unaufrichtigkeit, wenn jemand sein Vermögen oder seine Stärken verbirgt?], aber wir gehören schließlich zu den Leuten, wegen denen die Suhrkamps nach Berlin zurückgekehrt sind. Wir haben einige der Ideen und die Antworten, die sie in Frankfurt nicht finden konnten und jetzt hier suchen. Es sollte übrigens ein schöner Zufall sein, dass wir am Tag des Empfangs auch etwas zu feiern hatten. Denn in diesen Mittagsstunden wurden drei Patente, die wir in den vergangenen Monaten für unsere neue Firma Smart Media Technologies entwickelt hatten, endlich beim Patentamt eingereicht und somit offiziell angemeldet, eines davon weltweit. Alleine daraus ergeben sich neue verlegerische Gestaltungs- und Vertriebsmöglichkeiten, die wir anderen innovativen Verlagen wie etwa Suhrkamp anbieten werden.

Jedenfalls ging ich sofort in der Hufelandstraße gegenüber zum Blumenladen und gab dort ein Gebinde in Auftrag. Ich hatte eine genaue Vorstellung davon, wie es aussehen sollte. Am nächsten Tag, eine Stunde vor dem Empfang, holte ich das kleine Kunstwerk ab und war begeistert davon, wie der Florist meine Frühlingsphantasien umgesetzt hatte. Das ganze wurde dann mit einem weithin sichbaren Schild abgerundet, das ich noch am Morgen mit Papier, Karton, Kleber und Schere gebastelt hatte.

Dann begann die Reise dieses kleinen Blumenwunders. Wie ein Wanderpokal wechselte es während des Empfangs seinen Ort und erschien immer dort, wo die Gäste und die Kameras hinschauten. Das Beste daran war, dass es nicht einmal geplant war, nicht im entferntesten. Es ergab sich, einfach so.

Der Regierende Oberbürgermeister Klaus Wowereit wurde denn auch gefragt, ob das Gebinde von ihm käme, worauf er auf uns verwies. Eins war nämlich ganz erstaunlich, und alleine das hätten wir gar nicht planen können: Wir, der Perlen Verlag, waren [soweit wir wissen und gesehen haben] die einzigen, die so ein Begrüßungsgeschenk mitbrachten. Niemand war darüber mehr erstaunt als wir selbst.

Suhrkamp-Geschäftsführer Thomas Sparr freute sich sehr über unsere kleine Aufmerksamkeit.

Die Verlegerin Ulla Unseld-Berkévicz war erstaunlich entspannt und aufgeräumt angesichts des Massenandrangs deutscher Kulturprominenz. Sie fand auch für jede und jeden etwas Aufmerksamkeit und freundliche Worte.

Gegenschuss: Da saßen sie alle im beheizten Zelt, während draußen bei -16 C die Wintersonne vom Zenith eines berlinblauen Himmels herab alles überstrahlte. Mit Peter Handke sprach ich etwas später und bedankte mich bei ihm dafür, dass er einen unserer Autoren, nämlich den schon genanntenAlem Graboac, zum Schreiben ermutigt hatte. Sie waren sich in Barcelona begegnet und Handke muss sich wohl viel Zeit für den Anfänger genommen haben, der an seinem ersten großen Manuskript arbeitete. Es gibt nicht viele bekannte und erfolgreiche Schriftsteller, die sich um den Nachwuchs kümmern und die Mentorenrolle auf sich nehmen. Handke gab mir noch eines seiner dichterischen Orakel mit auf den Weg: „Richten Sie dem jungen Mann aus, er muss etwas auf seine Sprache aufpassen. Er schreibt so, als sei alles schon geschrieben worden.“ Ich weiß, was er meint. Aber ich weiß auch, dass es kein Fehler ist, kein Überschuss und kein Mangel, sondern ein Konstrukt. Und deshalb ist es Kunst und große Literatur.

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